Mangel
[amazon box ="B0B6XQBGJP"]Marcel Mangel war besser bekannt als Marcel Marceau.
Er ist, auch wenn ihn kaum noch jemand kennt, der Wegbereiter der physischen Comedy von heute.
Wenn sie stummes Slapstickspiel machten, dann ging das immer auf Marceau zurück – von Jango Edwards bis Umbilical Brothers, über David Shiner, Pic, René Bazinet und, und, und. Marcel Marceau hatte die Pantomime des 19. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert als Rock’n’Roll neu erfunden. Das war sie schon vorher, im erwähnten 19. Jahrhundert im Théâtre des Funambules, Jean-Louis Barrault spielte den Protagonisten dieser Zeit in Marcel Carnés Kinder des Olymp. Aber von Mitte der 1860-er Jahre bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Pantomime komplett aus der Theaterwelt verschwunden. Bis Marcel Marceau kam.
arte.tv widmet Marcel Marceau ein schönes Portrait, bis zum 28. März in der arte-Mediathek zu sehen.
Wer war der Kerl? Er brachte Michael Jackson den Moonwalk bei. Mit Jane Fonda spielte er in Barbarella. In Mel Brooks’ Silent Movie war der Marceau der Einzige, der ein Wort sagte: „Non!“, rief er aus, als Brooks ihn anrief, ob er in einem Stummfilm mitspielen wolle. In den 1960-ern bis in die späten 1980-er war er ein Popstar. Seine Pantomimen ließen die Leute international ausrasten wie sonst Sinatra, Elvis oder die Beatles. 1982 sah ich seine beiden Shows in Schauspielhaus Düsseldorf hintereinander. Sein Illusionstheater war perfekt.
Abgesehen vom theatralischen Effekt – dem Gehen auf der Stelle, dem Abklatschen der Wand, dem Ziehen des unsichtbaren Seils – sind seine Sketche heute nur schwer zugänglich; Marceau grimassiert viel, sein Spiel ist voller von Imitation, er karikiert, versetzt sich nicht hinein in seine Figuren. Trotzdem ist er einzigartig, denn ihm gelingt etwas völlig Beklopptes: Er emotionalisiert das Oberflächliche. Sein Spiel ist oberflächlich, aber er haucht dieser Oberflächlichkeit Seele ein. Damit erschloss er sich die Seelen eines Millionenpublikums rund um die Welt.
Kennt man die Geschichte hinter dem weißen Gesicht des Pantomimen bekommt man ein Gefühl davon, wie das entsteht. Diese Geschichte erzählen seine Familie und Wegbegleiter in einem berührenden Feature von Maurizius Staerkle Drux, selbst Sohn eines Pantomimen. Originalaufnahmen der Sketche Marceaus aus den 1950-ern und 1960-ern wurden für den Film aufwendig restauriert und es gelingt so das Sympathischste: sie holen die Erinnerung an den 2007 gestorbenen Marceau einfühlsam, aber ohne Pathos in die Gegenwart zurück.
Marcel Marceau wäre am heutigen 22. März 100 Jahre alt geworden.
Le mime corporel dramatique
Reines Theater, der Mensch an sich soll auf die Bühne kommen. Hilflos der Versuch, diese Neutralität herzustellen: Die Schauspieler um Étienne Decroux betreten die Bühne unbekleidet – bis auf eine Windel und einem Nylonstrumpf auf dem Kopf), wie autistisch-magersüchtige, manieristisch gestikulierende Sumoringer ohne Gegner. Paul Watzlawick sagte: “Man kann nicht nicht kommunizieren”. Genau so können Schauspieler nicht nicht Individuen sein. Ein Prinzip, an dessen Vermittlung der englische Philosoph Graham Chapman schon 1979 verzweifelte.
Trollflöjten
Die Dreharbeiten [zu Mozarts “Zauberflöte”] erwiesen sich als unproblematisch. So schreibt Bergman selbst in der Zeitschrift “Bilder”: “Nie verlief eine Inszenierung so mühelos. Die Lösungen standen Schlange, boten sich von selbst an.”www.ingmarbergman.se
Passante
Der Schauspieler Dietrich Hollinderbäumer und ich hatten, das haben wir bei einer Premierenfeier der Serie “Pastewka” einmal festgestellt, dieselbe Sprechlehrerin. Sie hieß Kerstin Forsmark und sie hatte seit den frühen Theatertagen Ingmar Bergmans am Königlichen Dramatischen Theater Stockholm allen Schauspielern den korrekten Sitz der Stimme und den Wohlklang des “Reichsschwedisch” beigebracht. Am Ende der Ausbildung durfte ich übrigens am Staatstheater dann was spielen? Einen italienischen Diener. Und er, Schüler von Ingmar Bergman, Burgschauspieler, Papa Pastewka, Oliver Welkes Ulrich von Heesen?
Seit einigen Jahren hat er [Hollinderbäumer] nun eine Agentin in Helsinki, die ihm ermöglicht, ab und zu für Filme in Skandinavien vor der Kamera zu stehen. “Aber dann kriege ich so Rollen wie deutsche Offiziere. Leider, denn ich will ja schwedisch sprechen.” Das Schicksal Hollinderbäumers, eines deutschen Schauspielers, der sein Handwerk einst in Schweden gelernt hat.„Heute-Show“-Star Dietrich Hollinderbäumer ist Herr der Nebenrollen – Stars & Promis – Berliner Morgenpost
Gemein. Der Deutsch-Schwede ist mit Schwedisch als erster und Muttersprache aufgewachsen und mir hatte Kerstin Forsmark gesagt, mein Schwedisch sei besser, als das eines mit breitem Stockholmer Lokaldialekt sprechenden Mitschülers. Aber die Schweden haben Angst um ihr Idiom, so lassen sie Deutsche, auch wenn sie akzentfrei sprechen, lieber Nazis oder Italiener spielen.
Noch in diesem Jahr – Millowitsch-Theater schließt früher als geplant – WZ.de
Noch in diesem Jahr – Millowitsch-Theater schließt früher als geplantwz.de
Mal nicht so pathetisch. Das Theater am Rudolfplatz existiert weiter, da schließt nix. Millowitsch hat bloß nicht genug eingespielt, um die Miete zu zahlen, Ende vom Lied: er mietet es nur nicht mehr und macht die Bühne frei für seine Kumpels, die dort ein Stück inszenieren mit, ja wem wohl – Millowitsch. Das gibt es nur in Kölle: es wird groß geflennt und dann bleibt alles beim Alten. Alaaf!
Das schauspielerisch Erlernbare schien ihm unerreichbar, das Unerlernbare ist ihm gegeben.Fritz Kortner über Curt Bois
Dialog vor der Garderobe
Berlin, Theater am Schiffbauer Damm, 20. Januar 2012
Danke für die Einladung. Aber irgendwie, ich weiß nicht. Das war jetzt ja nicht richtig ein Stück.
Wie jetzt?
Eher eine Szene. Eine lange Szene war es. Es ist ja nicht wirklich was passiert.
Ja, nicht wirklich.
Es ist eigentlich nichts passiert.
Nicht wirklich, nein.
Nur rumgesessen sind die. Und gelaufen. Und wieder hingesetzt haben sie sich. Dabei erwartet man doch, dass was passiert. In so einem Theater. Für das Geld. Aber eigentlich haben die nur geredet die ganze Zeit.
Ja, viel. Nur.
Und man erwartet ja was besonders in so einem Theater. Klassiker. War das ein Klassiker?
Doch schon, Tschechoff ist ein Klassiker, doch schon.
Ja,ist er … Oh. Ah, ja. Ich weiß nicht. Was ist an dem Stück klassisch. Naja. Hast Du die Schauspieler verstanden? Einer war ja sehr alt. Und einen anderen, den habe ich nur ganz schwer verstanden. Hast Du ihn verstanden? Er sprach ja sehr leise. Und die Bühne war auch irgendwie leer. Also nochmal würde ich nicht gehen. In so einen Tschechoff.
Irgendwo da vorne
Bar jeder Vernunft, Berlin. Irgendwo da vorne wird gleich einer ein Programm spielen.
Irgendwo rechts sitzt der große Säufer und Schauspieler Otto Sander, den in Berlin schon lange keiner mehr fotografiert, der einen Krebs überleben mußte und der jetzt langsamer und gebeugt geht und der mit seiner Frau da ist und nicht raucht und der Häppchen isst und Rotwein trinkt und der guckt wie ein angeschossenes Reh. Waidwund, aber in seinem Revier. Als sein Blick meinen trifft, hat er dieses erschreckte “muss ich den kennen” in den müden Augen. Nee, lass, mußt Du nicht. Zu kurz, Otto, zu lange her. Ich nehme meinen Blick zurück.
1980, fünf Jahre vor dem “Himmel über Berlin”, drehten er und Bruno Ganz eine Dokumentation die über die von ihnen bewunderten Schauspielkollegen Curt Bois und Bernhard Minetti. Damit man sie nicht vergisst, die beiden Alten. Es wurde ein Film über Katz und Maus. Anrührend und brutal.
Wer, bitte, dreht jetzt ganz schnell einen Film über Otto Sander. So wie in dem anderen Curt Bois der Star war, obwohl Minetti zu dem Zeitpunkt berühmt war. Und beides sind Namen zu denen heute schon lange niemand die Geschichten mehr kennt. Und das trotz “Gedächtnis”. Schnick, Schnack, Schnuck.
Bar jeder Vernunft, Berlin. Irgendwo da vorne wird gleich einer ein Programm spielen.