Pâte fementée.
Kalte Stückgare (ich liebe Bäckerbegriffe. “Gar, du Stück!”). Fürs Frühstück mit backfrischem Brot die dramaturgisch perfekte Führung, weil die Baguettes am Backtag direkt in den Ofen gehen, nachdem die Teiglinge über Nacht im Kühlschrank geruht haben. Danke einmal mehr an Lutz und Manfred Schellin für die Grundlagen des Baguettebackens im Oktober in der Kochbar Berlin :-) Et oui, je les aime bien cuites.
Der Fragebogen der Bildungstrinker
Bei Mek gefunden, dieser Fragebogen. Ui, den beantworte ich jetzt auch mal. Und Dir lieber Mek, danke für das Kompliment hier in Deinen Antworten versteckt. Meine Antworten seien dann auch zuerst mal Dir gewidmet – und dann dem Rest der elektrischen Leserschaft. Chin!
- Was ist dein liebster Drink?
- Ich habe keinen “Immer-Drink”. Im großen und ganzen mag ich es durchaus gern hochprozentig aber nicht (immer) so, dass der Alkohol einen wie ein ganz linker Haken in den Clubsessel haut.
- Ich mag es fruchtig, aber nicht die prollige Süße von Strandbar-Mai-Tais und Club-Schlüpferstürmern, die der Sohn Sex on the bitch ausspricht. So mag ich den Gimlet, gebe Gin und Lime Juice aber immer noch einen Dash frisch gepresster Limette bei. Ich ziehe den Gin Fizz dem Collins vor und Gin Tonic mit Tanqueray liebe ich mit Limette, mit Hendrick’s dagegen mit Gurke. Mit 12 Monkeys und Alexander von Eisenhart Rothe’s Ibiza-Gin trinke ich den Gin Tonic am liebsten ohne Tonic. Mit meiner Frau trinke ich gern Negronis, denn wir lieben auch Campari.
- Ansonsten geht nichts über ein eiskaltes herbes Pils oder ein blondes Leffe, wenn ich richtig durstig bin. Oder eine große Flasche Wasser in einem Zug unter mediterraner Sonne. Ja, es ist wohl das: mein liebster Drink ist immer der, den ich durstig trinke.
- Wann hast du das erste mal Alkohol getrunken?
- Irgendwann mit sechzehn, siebzehn. Ein halbes Glas Rotwein. War sofort hackedicht und fand es lustig, wie sich alles drehte. Es war so eine “meine Eltern sind übers Wochenende weg, kommt alle, wir feiern bei mir”-Party. Ich unterhielt mich, sitzend auf einer dieser freischwebenden Mahagoni-Eigenheimtreppen, die man damals so hatte, in lallender Bedeutungstrunkenheit mit einem Kumpel aus der Klasse über das pro und contra der Kriegsdienstverweigerung.
- Welchen Drink hast du am meisten bereut?
- Eine halbe Flasche Raki bei und mit Hasan im Kölner Simrock’s 1997. Ich war danach drei Tage krank. Aber die Nacht war schön. Wir saßen an der Theke, er dahinter, ich davor, waren die letzten, denn setzt sich mit der Flasche zu mir. Bogartesk. Wir schauen durch die offene Tür auf die Straße raus, draußen knallte, hell erleuchtet von der weißen Straßenbeleuchtung, ein Gewitter samt nichtendenwollendem Platzregen auf den sommerheißen Asphalt und wir redeten im Atem dieser Trunkenheiten, in dem man sich die ganze Welt und das Universum gleich mit erklärt. Für diese Räusche gilt die Faustregel: wenn Du denkst “och die Flasche kann noch, ich fühl’ mich so gut, DIESMAL bekomm ich bestimmt keinen Kater”, dann bekommst Du ganz sicher einen Kater. Wie gesagt: ich war drei Tage wirklich krank; am zweiten Tag konnte ich das Bett wieder verlassen und Raki trink ich seitdem nicht mehr. Außer vielleicht, wenn Hasan fragt. Aber der hat ja den Laden dichtgemacht und arbeitet als wieder als Schneider.
- Bar oder Kneipe?
- Früher Kneipe, exzessiv – oft gehörte ich als trinkender Zeichner zum Inventar. Heute habe ich eine gut ausgestattete Hausbar. Ansonsten heutzutage auch beim Rausgehen: Bar. Gern so entspannt wie in Kneipen, was ich aber leider selten finde, denn es gibt in Deutschland keine Barkultur, die es erlaubt, sich so entspannt durch eine Cocktailkarte zu trinken, wie man hierzulande in Kneipen Bierfässer leersäuft. Und wenn es sie gibt, dann selten ohne Snobismus oder die komplette Unkultur von Menschen, um deren Intelligenz und soziale Kompetenz es umgekehrt proportional zum gut gefüllten Geldbeutel bestellt ist. Deswegen trinke ich gern zuhause. Mit meiner Frau und meinen Freunden. Mit Stil und mit Wonne. Ach ja: beim Rausgehen muss meine Bar rauchfrei sein, ich ertrage keinen Qualm mehr, seit ich nicht mehr rauche mit Wonne ein sehr militanter Nichtraucher. Aber rauchfrei ist auch wirklich ganz großartig, denn man muss beim Trinken gar nicht rauchen, das ist genauso ein Gerücht wie das mit der Zigarette nach dem Essen oder dem Sex – das ist eine sehr entspannende Erfahrung nach jahrelangem eigenem Gerauche.
- Champagner oder Schaumwein?
- Ein Crémant aus dem Elsass ist immer ein Vergnügen. Und die Veuve Clicquot für Weihnachten, Geburtstag und Silvester.
- Mit wem würdest du gerne trinken?
- Draußen? Mal wieder mit Edith und Pascual am Piratabus auf Formentera ein San Miguel. Sonst? Mit meiner Frau abends den Aperitif. Und viel öfter mit Freunden, die ich so gern beim Essen in der heimischen Bar-Küche betrunken mache.
- Bei wem würdest du gerne trinken?
- Bei Nino im Kölner Schmuck-Kästchen vor 20 Jahren (beide verschwunden). Oder mit Freunden und meiner Frau bei mir.
- Wie sieht deine Home Bar aus?
- Immer differenzierter. Irgendwann stellte ich fest, dass ich mehrere Sorten Gin, Rum und Wodka hatte und mehr Sirupsorten als ein gutsortierter Kindergarten. Irgendwann war eine Schublade des Tiefkühlschranks für Eiswürfel reserviert, irgendwann fing ich an, meine Gläser vorzukühlen.
- Beschreib deine Eiswürfel.
- Sie kommen aus der Maschine in der Wand und sind aus für mich importiertem schottischen Felsquellwasser. Quatsch. Diese Riesen-Säcke der METRO-Hausmarke. Zylindrisch, Loch in der Mitte. Im Tiefkühlschrank, wie gesagt.
- Was ist deine Gin-&-Tonic-Empfehlung?
- Je hochprozentiger desto Limette, je fruchtiger desto Zitrone. Immer sehr kalt und gern mit vielen Eiswürfeln und einem Extra-Dash der jeweiligen Zitrusfrucht im Ballonglas.
- Wie bekämpfst du deinen Hangover?
- Ausschlafen. Und Aspirin. Faustregel: je besser Aspirin schmeckt, desto nötiger hast du es. Ich halte nichts vom Konterbier. Das hängt auch damit zusammen, dass ich eine natürliche Abneigung dagegen habe, wenn es hell ist, Sachen mit Alkohol zu trinken. Außer im Urlaub. Gin Tonic am Pool und Bierchen beim Wochenend-Ausflug in den Spreewald sind okay. Aber ich schweife ab.
- Was ist dein liebster Drink?
Als Rauchen noch nicht tödlich war (6): CAMEL FILTERS
Ich finde diese Werbung, indem ich die TITANIC, Nr. 10 aus dem Jahr 1981 schließe. Oh ja, wir haben viel CAMEL FILTERS geraucht damals. Nur die Musiker nicht, die rauchten CAMEL ohne Filter (und tun es bis heute). Warum rauchten wir CAMEL FILTERS? An der Werbung kann das eigentlich nicht gelegen haben, denke ich, indem ich die TITANIC mit der Anzeige weglege, auf der ein tumber rothaariger Schnauzbartträger offensichtlich auf Safari und im Jeep sitzend bedeutungsschwanger an seiner Kippe saugt. Lag’s vielleicht an der Schachtel? „In dem Muster des linken Vorderlaufs des Kamels von der Schachtel ist eine nackte Frau versteckt, siehst Du die?“ lallten wir uns (wie alle CAMEL-Raucher bis heute) zu später Stunde beim Absacker jedes Mal wieder an, und ließen die Packung rumgehen. Und dann gab’s noch einen Witz den ich vergessen habe und dessen Pointe damit zu tun hatte, dass sich jemand hinter den Pyramiden auf der Packungsrückseite versteckte. Heute versteckt er sich wahrscheinlich hinter dem Warnhinweis. Nein, an der Schachtel kann’s irgendwie auch nicht gelegen haben.
An der Printwerbung jedenfalls lag der Erfolg von CAMEL FILTERS garantiert nicht. Komplett ironiefreie Werbung, hey, das ging doch gar nicht in der linksalternativen Goldgräberzeit der frühen 1980erjahre – zumal in der TITANIC! Wir waren immerhin die knospende Gründungszelle der ironischen Generation! Wir waren die Ahnen derjenigen, die gestern David Letterman parodierten und heute sich selbst als David Letterman. Wir waren die, deren Begriff von Anarchie durch die Kapriolen der Figur „Didi“ in „Nonstop Nonsens“ geprägt wurde – und die auch heute nicht viel weiter sind. Wir waren die, deren erste sexuelle Prägungen im Schritt ihrer Feincord-Schlaghosen hervorgerufen wurden durch die Schlitze im Kleid von Ingrid Steeger in Michael Pfleghars „Klimbim“ (und mit deren kurz im Slapstickzeitraffer entbößten Brüsten Peer Augustinski und Horst Jüssen nie etwas anderes anzufangen wußten, als hilflos mit den Augen zu rollen). Wir sind die, die auch heute noch den Bezahlporno von SKY (The Artist Formerly Known As PREMIERE) verschmähen, wenn sie die Möglichkeit haben, die nacke sechzehnjährige Nastassja Kinski im TATORT „Reifezeugnis“ zu sehen.
Wir waren die, die heute den Gewinnern der zu beiden Seiten offenen Meisterschaft im Millionenscheffeln durch zynische Distanz inbrünstig von den Lippen lesen. Wir ignorieren inbrünstig die Welt um uns herum, solange sie sich bitteschön nicht ausschließlich allein um uns selbst dreht. Wir tun das sogar ohne jede Honorarforderung. Gestern war unser Motto „Dick und Doof“, heute sind wir die “Väter der Klamotte” des Extrem-Heinrich-Heining: „Unter jedem Grabstein liegt eine Welt begraben“ – was also kümmert mich mein Nächster? Wir sind die, die den aussterbenden Showmastern, die wir dafür verteufeln, dass ihr Ethos preußischer war als das der Preussen, immer ähnlicher werden – und wollen es, im Gegensatz zu jenen, nicht wahrhaben.
Klar also, dass es an der Werbung nicht gelegen haben kann, dass wir, wann immer uns die Zeit zum Selberdrehen fehlte, CAMEL FILTERS rauchten – die Zigaretten die stärker parfümiert waren als der gesamte Sannyasin-Puff von Herrn Bhagwan in Poona. Und dann diese Slogans: „Ich geh meilenweit für CAMEL FILTERS“ oder „Der Weg lohnt sich – CAMEL FILTERS“ das war nichts für uns; konfrontierte man uns mit derlei kernigem Schmu ohne die ironische Überhöhung durch die Stimme von Eddie Constantine, dann prusteten wir gleich los, dann dachten wir sofort an Dinge wie Loriots Sketch, in dem ein Lottogewinner fürs Fernsehen einen originellen Spruch aufsagen soll und sich vor Nervositätext verhaspelt, dass er in all seiner spießigen Ernsthaftigkeit verkündet, er eröffne qua Lottomillion demnächst mit dem Papst eine Herrenboutique in Wuppertal (sprich: „Boutique“ wie „Buhtikä“).
„Der Weg lohnt sich“ – nicht mit uns, die intellektuelle Fallhöhe zu dem damals populären „No Future“ war einfach unüberwindbar. Was für ein Weg? Wohin? Helmut Schmidt winkte Anfang der 1980erjahre gerade amerikanische Pershingraketen ins Land durch, innerhalb der nächsten Jahre würden wir sowieso im nuklearen Holocaust verglühen, also warum sich bewegen, dude?
Und es waren ja nicht nur die Slogans, der CAMEL-Mann selbst war für uns doch völlig indiskutabel: wir steckten in Latzhosen mit Sex-Pistols- und Anti-Atomkraft-Stickern und unsere Nickelbrillen beweinten den unlängst ermordeten John Lennon. Keiner von uns wollte als rotblonder Lone Ranger in Jeep und Khaki-Kluft pseudocool durch afrikanische Reservate gurken. Wir wollten Christiane F. zum Soundtrack von David Bowie am Berliner Bahnhof Zoo retten, mit ihr nach Marokko trampen, billiges Dope kaufen und auf der Rückreise vor Gibraltar die inhalierte Übelkeit übers Fährengeländer direkt ins Mittelmeer kotzen!
Vielleicht war es der Gestus des CAMEL-Manns, der tatsächlich zu unseren Wünschen an ein erfülltes Leben passte: der CAMEL-Mann führte seine Zigarette martialisch-bogartesk zwischen Daumen und Zeigefinger – und nicht geziert zwischen Zeige- und Mittelfinger. Naja, und vielleicht war es doch auch ein wenig die Packung: eigentlich passen die Pyramiden, das Kamel, die Wüste und die Palmen auf der Packung wunderbar zu den letzten Zuckungen flowerpowerbewegter Reiseideale, die sich in unseren knopsenden Körpern und Seelen Bahn brachen. Mehr jedenfalls als das hyperventilierende HB-Männchen und unsere Verwandten im Pütt mit ihren Taubenschlägen und den rasselnden REVAL-Lungen.
Was mich ganz persönlich angeht, so wurde ich mit einer CAMEL angefixt. Ich wurde nicht aus Neugier oder aus Genuss zum Raucher, ich rauchte die erste Zigarette, weil mir gesagt wurde, es sei die logische Konsequenz meines Handelns, die erste Zigarette zu rauchen, dargereicht von der besten Freundin, die Teil des Problems war; mir dienten sich nämlich die Frauen zeitlebens immer mehr als beste Freundinnen an denn als Geliebte und auch am Ende meiner reichlich abgefeierten Kneipentage war ich eher Restesäufer als Resteficker. Jeder Mann, der nicht die Balance zwischen Frauenverstehen und Balz findet, kennt das: Zu viel Balz und man wird von der Angebeteten nach ein, zwei One Night Stands freundlich aber bestimmt verstoßen, zu viel Verständnis und man wird noch bevor sie überhaupt an Petting denkt zum besten Feund erklärt und nach wenigen Tagen verzückt dem ersten One-Night-Stand-Idioten vorgestellt mit Worten wie: „Das ist mein bester Freund; keine Angst zwischen uns läuft nichts.“
Ich hatte immer zu viel Verständnis – und war daher immer wieder der beste Freund. So auch 1979. Meine damalige beste Freundin bemerkte im Rahmen einer Fete (so nannten wir unsere Partys, sonst änderte sich nichts) meine aus der oben beschriebenen Situation erwachsene Frustration, und also beschloss sie: „Du bist jetzt in dem Alter, wo du mal eine Freundin brauchst. Wie wäre es denn mit der da drüben, die ist ganz schnuckelig, die heißt Susan, sieht süß aus und sie ist allein.“ – „Und sie riecht gut“, ergänzte ich in Gedanken. Mir wurde also geheißen doch mal in der Küche ein wenig mit ihr zu flirten, und ich tat das auch, aber irgendwie kam das Gespräch mit dem Dufterlebnis der Wahl nicht richtig in Gang, denn irgendwie erinnerte mich die Brille der Auserkorenen sehr an Juliane Werding, und schon hörte ich im Kopf ein Endlosschleife deren 1975er Hit „Wenn du denkst du denkst, dann denkst du nur du denkst“; so konnte ich kein Gespräch beginnen, denn, denn jedes Mal wenn mich die Wohlduftende anschaute, brach ich innerlich in lautes Gelächter aus – und ohne Gespräch gleich mit knutschen anzufangen, daran hinderte mich mein Balanceproblem: für pure Triebabfuhr reichte das mit dem gut riechen bei mir nicht, für mich fühlte es sich eben irgendwie schmutzig an, mit einem Mädchen auf Tuchfühlung zu gehen, mit dem ich vorher nicht wenigstens ein paar freundliche Worte gewechselt hatte – und das war wegen „wenn du denkst du denkst“ definitiv unmöglich.
Ich kehrte also letztlich frustriert, weil unverrichteter Dinge auf den Balkon zur besten Freundin zurück. Wollte die mich beruhigen oder war sie einfach nur breit? Jedenfalls , sagte sie mir mit jovialem Unterton, das klägliche Scheitern gehöre bei Männern quasi dazu zum Verliebtsein, nur Frauen hätten in der Balz wirklich die freie Auswahl, und ich sei ab sofort eben einfach unglücklich verliebt, das sei ganz normal und werde durch „erstmal eine rauchen“ bekämpft. Sprach’s und zündete mir an ihrer Glut eine CAMEL an. Ich dachte: „Liebeskummer. Der Weg lohnt sich – CAMEL FILTERS.“ Ich sagte: „Hilft das?“ – „Ganz bestimmt“, beteuerte meine beste Freundin, „Kopf hoch, Alter – wird schon.“ Sie klopfte mir anerkennend auf die Schulter, verschwand mit ihrem aktuellen One-Night-Stand und ließ mich qualmend zurück.
Mir wurde schwindelig und ganz heiß im Bauch, dann wurde mir auch ein bisschen schecht – nicht schlecht genug indes, um gleich wieder aufzuhören, also war ich seitdem ein Raucher – das heißt: wenn ich drauf und dran war mich zu verlieben, dann rauchte ich schon mal vorsorglich drei Schachteln CAMEL und sprach die Angebetete gar nicht erst an. Kamel oder nicht, das ist halt weder eine Frage der Schachtel noch des Slogans, letztlich – das denk’ ich jetzt, und jetzt hab’ ich’s. Weiter mit Musik.
Als Rauchen noch nicht tödlich war (5): SAMSON
SAMSON – eine Anzeige aus der TITANIC 6/82. Wer rauchte in den 1980ern eigentlich SAMSON? Die Harten rauchten VAN NELLE, die Masse saugte an DRUM-Gedrehten, die Mädchen schworen auf The Artist Formerly Known As JAVAANSE MILD (heute „JAVAANSE CLASSIC“) – aber SAMSON? Der halbschwarze Tabak mit dem Löwen im Wappen hatte es schwer unter den umwelt- und preisbewussten Kettenrauchern der 1980erjahre. Dabei hatte er diese wunderschöne Werbekampagne.
SAMSON suchte seine Kunden in der Zeit der ersten Bioläden, und die hatten es faustdick hinter der Theke: was ökologisch angebaut war wurde dort von Menschen, die wie (gewaschene) Mitglieder der Kelly-Family aussahen, auf Neusprech verkauft: „Ey, danke du, nee, wirklich Du… Die Socken hab ich aus ökologischen Schafen selbst gestrickt, ne.“ Kein Scheiß. Wir sprachen echt so. In den ersten Ökoläden wurden die Produkte zudem zu Preisen verkauft, die die Betreiber von Reformhäusern erblassen ließen – nur mehr schwer vorstellbar in Zeiten von Ökodiscounts und Joschka Fischer in Nadelstreifen, aber damals hüteten sich die Ketten von KAISER’S bis LIDL, auf ihre Produkte „ÖKO“ zu schreiben, das galt als überteuert, übertrieben, wurde mit den Langhaarigen aus den Anti-Atomkraft-Kommunen zusammengebracht – kurz: das Siegel „ÖKO“ galt als massiv geschäftsschädigend. Heute wirbt selbst bei Discounter NETTO (The Artist Formerly Known As PLUS) die Fernsehprominenz für ökologisch korrekte Discountlebensmittel. Damals warb nur Rudi Carrell für EDEKA (was niemand supergeil fand), und die verkauften Fleischsalat, in dem waren wahrscheinlich („Lass Dich überraschen … “) mehr Konservierungsstoffe als Mayonnaise und Fleischstreifen zusammen.
Die Inhaberin unseres Bioladens war sich, was SAMSON anging, wie viele andere, sicher und untermauerte so ein weit verbreitetes Gerücht: SAMSON sei giftig, denn er habe einen überhohen Blausäureanteil, das käme daher, dass sie Hersteller nicht nur den Tabak sondern zum Behufe der Gewinnmaximierung auch die Blattstiele und ganze Äste ihrer Tabaksträucher – traditionell die Stelle im Rauschkraut, wo sich Blausäure konzentriere – in die Pakete schredderten. Nun waren wir zu der Zeit vielleicht alle etwas verstrahlt, aber dass Rauchen nicht besonders gesund war, das wussten wir auch ohne Warnhinweise – deswegen ließ uns das mit der Blausäure ziemlich kalt – tödlich oder doppelt tödlich kommt letztlich auf’s selbe hinaus. Vielen reichte aber schon das mit den Ästen, denn es gehört wirklich zum nervigsten, was man als Drehtabakkonsument kennt: holzige Teile im Drehgut – sie bohren sich beim Drehen durch das Papier und man kann von vorn anfangen oder man bemerkt sie erst beim Rauchen, wenn sie, knalltrocken wie sie sind, die Zigarette in einem Zug an der Seite von vorne bis hinten abfackeln wie die Zündschnur im Vorspann von “Mission Impossible”. Nicht schön. Und im ansonsten sehr schmackhaften SAMSON war tatsächlich immer auffällig viel Unterholz, man mochte ihn nicht so wirklich – dabei hatte er diese wunderschöne Werbekampagne!
SAMSON machte wahrscheinlich immer schon den meisten Umsatz im Ausland: im Urlaub rauchten alle den Tabak mit dem launigen Löwen, denn SAMSON war – warum, darüber rätsele ich bis heute – der einzige angebotene Drehtabak in allen Ausländern von Frankreich über Italien bis Griechenland – kurz in jedem Ferienland, in das uns Interrail führte. Interrail war übrigens eine Fahrkarte, mit der man als Jungmensch 26 Länder zum Preis von 440 Mark für einen Monat zweitklassig im Zug bereisen konnte. Wenn man im bereisten Ferienland also überhaupt Drehtabak für seine Joints bekam, dann bekam man SAMSON – und erntete Kopfschütteln, warum man überhaupt drehte, machte man sich doch in Europa nicht die Arbeit zu drehen, denn überall waren Zigaretten noch billiger als Drehtabak in Deutschland: zwei Franc, achtzig Centimes zahlte ich 1982 in Frankreich für eine Packung CAMEL, das entsprach etwa 45 Euro-Cent. Die inländischen Zigaretten – GAULOISES und GITANES – waren, da staatlich subventioniert (!), sogar noch billiger. Zum Vergleich: zwei Mark 70 zahlte ich zur selben Zeit in Deutschland für ein Päckchen Tabak – etwa 1,30 Euro.
SAMSON investierte einen guten Teil des Verkausfserlöses wahrscheinlich in seine wunderschöne Werbekampagne, ja, jetzt soll endlich davon die Rede sein. Ähnlich wie LUCKY STRIKE hatte man im Tabakhaus Niemeyer ein sehr wiedererkennbares Thema für die wiederkehrenden Anzeigen- und Plakatmotive gefunden: SAMSON warb mit Zeichnungen von vermenschlichten Löwen, die in Kneipen saßen – die Anzeigen inszenierten die linksalternative Szene als kuschelige Fabeltiere. Das war der große künstlerische Wurf des Wuppertaler Illustrators Wolf Erlbruch, der eigentlich Kinderbücher zeichnen wollte, aber bei mehreren Verlagen damit abgeblitzt war und im Werbekampf um handarbeitende Nikotinadepten die Windeln fürs erste Kind verdiente. Mit Erfolg. Die SAMSON-Kampagne verhalf dem Absolventen der renommierten Essener Folkwang-Schule, wo auch Suhrkamp-Designer Willy Fleckhaus lehrte, zum Durchbruch: der Wuppertaler Verleger Hermann Schulz betraute ihn mit der Illustration